HANDLUNGSFELD: VERNETZUNG
Netzwerke: Wo auch kleine Player eine große Rolle spielen können
Anja Henningsmeyer
Mit „Netzwerken“ bezeichnen wir sowohl die individuelle Aktivität – das Networking, das wir auf Events und in sozialen Medien betreiben – als auch eine systemische Form des Miteinander-wirksam-Werdens. Um diese Kooperationsform gewinnbringend auszubauen – sowohl für Einzelne als auch für regionale Entwicklungen –, gilt es, die spezifischen Eigenschaften von Netzwerken zu verstehen.
Es gibt, auch in Unternehmen, verschiedene Formen von Netzwerken: Arbeitsnetzwerke beispielsweise bestehen aus Kontakten, zwischen denen Informationen übers Alltagsgeschäft ausgetauscht werden. Soziale Unterstützungsnetzwerke sind Kontakte, mit denen man Sorgen und Probleme bespricht. In Innovationsnetzwerken wiederum werden neue Ideen erörtert. Netzwerke funktionieren also als Kommunikationsstrukturen, die parallel zu offiziell festgelegten Hierarchien und Informationswegen existieren – und unterschwellig wirken.
Netzwerke haben keine Hierarchien. Sie sind Beziehungsgeflechte. In ihnen hängt viel vom Engagement Einzelner ab und von deren Netzwerkkompetenz, einer Form von Beziehungsintelligenz. Netzwerke sind auch keine stehenden Gebilde. Sie sind nie abgeschlossen, sondern ein sich ständig erneuernder Prozess. Die Key-Player in Netzwerken sind aktive Mitglieder. Beispielsweise die mit der Pflege eines Netzwerks beauftragten Manager*innen, die überschauen, was wie läuft, und mit den einzelnen Netzwerk-Akteur*innen im Austausch stehen.
Das Zusammenwirken in einem Netzwerk steigert für die einzelnen Mitglieder auch deren eigene Sichtbarkeit. Viele Frauennetzwerke – etwa Digital Media Women (#dmw) oder European Women’s Management Development (EWMD) – haben das verstanden. In ihnen unterstützen sich Frauen gegenseitig darin, Leben und Karrieren zu gestalten. Das gelingt, indem sie einerseits auf übergeordnete gesellschaftliche Ziele hinarbeiten, zum Beispiel auf die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Berufsleben. Andererseits werden auch fachliche Kompetenzen der einzelnen Netzwerkmitglieder sichtbar gemacht. Durch bereitwillig geteilte Ressourcen, den aufrichtigen Austausch von Erfahrungen und ein gemeinsames Projektmanagement arbeiten Frauen in solchen Netzwerken nicht nur auf ihr gesellschaftliches Ziel hin, sondern bestärken sich auch in ihren individuellen Projekten und Fähigkeiten. Und weil Netzwerkbeziehungen lose, verschiebbare Bindungen sind, verbinden sie sich dabei, je nach Bedarf, wechselnd mit anderen Akteurinnen. Die verbindliche Kooperation, die Bereitschaft, zu geben, und die Offenheit, Hilfestellungen zu suchen, spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Das unterscheidet funktionierende Netzwerke von statusgetriebenen Seilschaften, in denen Komplizen sich gegenseitig benutzen, um Eigeninteressen durchzusetzen.
In Netzwerken werden wir also durch unsere Aktivitäten sichtbar, nicht durch unsere gesellschaftliche Stellung. Und deshalb sind Netzwerke zeitgemäße dynamische Formen für das Zusammenarbeiten in einer sich ständig wandelnden Welt. So erleben wir in Zeiten des „social distancing“ die Verlagerung des Netzwerkens in den virtuellen Raum. Mit digitalen Tools wie Zoom, wonder.me und vielen anderen bieten sich neue Möglichkeiten, den persönlichen Austausch virtuell stattfinden zu lassen und – den Widrigkeiten zum Trotz – weiterhin Projekte, professionelle Zusammenarbeiten und Austausche voranzutreiben.
Real Value Networking, Sharing Economy, Plattformökonomie, New Work: Frankfurts Kreativwirtschaft und die neuen Vernetzungsformate
Prof. Dr. Swen Schneider,
Frankfurt University of Applied Sciences
„Je höher der Vernetzungsgrad, desto erfolgreicher alle Beteiligten.“ Was wie eine Binsenweisheit klingt, wird in der Praxis viel zu selten mit der nötigen Konsequenz gelebt. Das ist bedauerlich. Erst recht, wenn es um den zukunftsorientierten Sektor Kreativwirtschaft und den Wirtschaftsstandort Frankfurt geht. Hier sind in den Bereichen Kunst, Produktion und Entwicklung, Medien und Design die unterschiedlichsten kreativen Köpfe in verschiedenen Konstellationen am Werk: als Soloselbstständige, freie Gruppen oder Start-ups, als Mitarbeiter von Konzernen und Unternehmen, als Mitglieder in Verbänden, Vereinen, Initiativen. Nimmt man die renommierten Hochschulen und Forschungsinstitute der Region mit ihren innovativen Zukunftsprojekten hinzu, dann eröffnen sich außergewöhnliche Konstellationen aus Akteuren und Stakeholdern, die – bei entsprechendem Vernetzungsgrad, auch mit anderen, nicht der Kreativwirtschaft angehörenden Stakeholdern – Großes bewirken können.
Von Mehrwertservices zu Real Value Networks
Natürlich: Verbindungen und Kooperationen untereinander gibt es viele. Doch agieren die Akteure der hiesigen Kreativwirtschaft häufig zu sehr in ihren eigenen Blasen, um die gesamte Branche auf das nächste Level zu heben und die aktuellen Veränderungen der Arbeitswelt wirklich gewinnbringend zu nutzen. Das ist bis zu einem gewissen Grad verständlich. Gibt es doch zu wenige Orte, zu wenig entwickelte Strukturen des Austauschs miteinander. Klar ist: Solche Orte und Strukturen entstehen nicht von allein und funktionieren nicht von allein.
Es bedarf eines gezielten Community-Managements, das die entscheidenden Akteure sowohl offline als auch online zusammenbringt und die Branche im Rahmen einer fundierten Strategie kontinuierlich entwickelt. Es braucht einfache Vernetzungsmöglichkeiten, die sowohl online als auch offline funktionieren, einen physischen Kontakt stärken und die wechselseitige Vertrauensbildung beschleunigen. Die Wirtschaftsförderung Frankfurt, die hier seit Jahren Basisarbeit leistet, kann diese Netzwerke ausbauen und professionalisieren.
Der Begriff Mehrwertservices deutet es an: Vernetzung geschieht hier nicht um ihrer selbst willen, sondern um ideelle wie finanzielle Gewinne zu generieren und die Kreativwirtschaft nachhaltig fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen. Ziel sind Real Value Networks, die sämtliche Kreative, aber auch andere regionale und internationale Stakeholder einbinden.
Unter einem Real Value Network versteht die Wissenschaft eine Kombination aus Rollen und Interaktionen, die am Leistungserstellungsprozess beteiligt sind und ein Geschäft, ein ökonomisches oder soziales Gut oder einen (Mehr-)Wert an physischen oder digitalen Gütern/Services erzeugen.
Vernetzung online/offline: Auf die richtige Mischung kommt es an
Um Mehrwerte zu generieren, müssen soziale Interaktionen gefördert und Personen zusammengeführt werden, welche gemeinsame Werte oder Interessen/Zugehörigkeiten haben. Solche kreativen Ökosysteme „creative ecosystems“ sollten mit elektronischen Plattformen unterstützt werden, wie sie andernorts schon existieren. Best Practice: die Plattform FLOKK, UK.
Die Corona-Krise hat gezeigt, welche Möglichkeiten ein virtueller Austausch eröffnet. Gleichwohl wird man langfristig ohne physische Meetings in der analogen Welt nicht auskommen, will man größere Erfolge erzielen und nachhaltige Entwicklungen vorantreiben. So stellt sich die Frage nach der richtigen Mischung solcher Vernetzungskanäle. Ein Matching online durch einen Vermittler/Intermediär, gefolgt von einem ersten Onlineaustausch zur Vorbereitung des physischen Kontakts fördert die Zusammenarbeit. Haben die Partner einen solchen Kontakt hergestellt, erleichtert dies auch die spätere Onlinezusammenarbeit. Die sogenannte Media Richness Theory, also die Medienreichhaltigkeitstheorie, liefert hier wichtige Erkenntnisse. Sie beschreibt die Dynamiken zwischen bestimmten Inhalten und den Medien, über die diese Inhalte kommuniziert werden. Je komplexer beispielsweise ein Inhalt ist, desto reichhaltiger muss das Medium sein, damit die Kommunikation erfolgreich verläuft. Sensible Inhalte können aufwendige physische Meetings erforderlich machen, auch um Missverständnisse zu vermeiden, während sich weniger sensible Sachverhalte über einen kurzen E-Mail-Austausch klären lassen. Einen solchen „blended communication“-Ansatz können entsprechende Vernetzungsplattformen leisten. Sie sollten jedoch nicht zu den vielen bereits existierenden Social Networks der Marken LinkedIn und Xing in Konkurrenz treten, sondern einen spezifischen Mehrwert für Kreative bieten. Dafür sollte speziell von den Anforderungen der Kreativwirtschaft ausgegangen werden, um Nachfrager und Kreative, aber auch Kreative untereinander in Verbindung zu bringen. Als digitaler Brückenkopf koordiniert eine solche Plattform oder andere Institution projektbezogen den Einsatz aller Stakeholder und Akteure in einer fluiden Organisation. So können Start-ups und Kreative mit bereits etablierten Unternehmen in Kontakt treten und in ein Wertschöpfungsnetzwerk integriert werden.
Hilfreiches Tool: die Value Networks Analysis
Es klang bereits an: Eine solche Förderung von Interaktionen verlangt nach einem regionalen Management, auch um die Beziehungen und den Wertaustausch zwischen den Beteiligten und anderen Mehrwert schaffenden Netzwerken zu verstärken. Konkret wird ein Community-Management benötigt, das außerdem starke Analysewerkzeuge einsetzt, um eine langfristige, dynamische Strategie entwickeln zu können. Als besonders effektiv hat sich die von Verna Allee entwickelte Value Networks Analysis erwiesen.
Glokale Netzwerke: mehr Spezialisierung, mehr Kollaboration
Value Networks stellen eine Weiterentwicklung des Wertschöpfungskettenansatzes dar. Sie beziehen Kunden, Kreative und andere Stakeholder in den Prozess der Wertschöpfung ein. Ähnlich wie bei Open-Innovation-Prozessen, bei denen ganz gezielt externe Player in den Innovationsprozess einer Institution oder eines Unternehmens eingebunden werden, und bei kleinen, wendigen Start-ups geht es neben der Idee stets auch um die Geschwindigkeit und die Kompetenz der Umsetzung. Immer wichtiger wird in der Wissensökonomie die Frage, wie durch Wissen/Daten und Kreativität Innovationen gefördert werden können. Richard Normann, Gründer der Unternehmensberatungsgruppe SMG, und Oxford-Professor Rafael Ramírez gehen davon aus, dass wechselnde Besetzungen der Wertschöpfungsnetzwerke Innovationen fördern und dem Wandel förderlich sind. Die Veränderungsgeschwindigkeit in der sogenannten „VUCA-Welt“ (volatility/Volatilität, uncertainty/Unsicherheit, complexity/Komplexität und ambiguity/Mehrdeutigkeit) nimmt zu, und die Unternehmen sind wie ein Schalenmodell aufgebaut: Den Kern bildet die relativ kleine Stammbelegschaft. Sie wird in der nächsten Schale durch befristete Teilzeit- oder Heimarbeiter ergänzt. Im nächsten Ring werden Freiberufler eingebunden und feste Geschäftspartnerschaften sowie Lieferbeziehungen etabliert – gefolgt von einer weiteren Schicht aus Partnern, mit denen man nur gelegentlich zusammenarbeitet. Auch die Kunden werden in ein solches Modell einbezogen. So entsteht ein globales und zugleich lokales (glokales) Netzwerk – durch Spezialisierung und mehr Kollaboration.
Kreative: wie geschaffen für die Einbindung in Real Value Networks
Steigende Veränderungsgeschwindigkeit, wechselnde Besetzungen der Wertschöpfungsnetzwerke, Kollaboration – für solche veränderten Gegebenheiten scheinen heutige Kreative wie geschaffen. Immer häufiger zeichnen sie sich durch eine neue Haltung aus, ein flexibles und soziales, ein nachhaltiges Unternehmertum. Kreative des 21. Jahrhunderts arbeiten nicht, um zu leben, sie leben auch nicht, um zu arbeiten. Kreative des 21. Jahrhunderts streben nach der perfekten Synthese von Leben und Arbeiten. Es geht ihnen um Selbstverwirklichung, gleichzeitig um Innovationen und ein erfüllendes Sich-Einbringen. Damit steigt nicht nur die Identifikation mit der Arbeit, sondern auch die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. Kreative von heute agieren online, offline, digital. Sie sind mobil, haben keine Scheu vor wechselnden Kollaborationen und verlieren in all ihrem Tun die Sustainable Development Goals nicht aus dem Blick. Teilen, Tauschen und die „Reduce, Reuse, Recycle“-Philosophie sind für sie Selbstverständlichkeiten. Die Kreativen von heute folgen den Prinzipien der Arbeit 4.0, sind Teil der New-Work-Bewegung, wie sie der austroamerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann nennt. Dabei geht es um zukunftsorientierte Haltungen und Handlungsweisen wie Blended Working, Plattformökonomie und Sharing Economy, Co-Working, Coopetition, New Leadership.
Vor diesem Hintergrund müssen weitere Modelle entwickelt werden, wie auch die Kreativbranche und Start-ups in Real Value Networks integriert werden können. Die Wirtschaftsförderung Frankfurt kann hier als Wegweiser fungieren.
E-Collaboration und die internationale Dimension
Die Corona-Krise hat all diese Entwicklungen und Dynamiken befördert. Damit erfolgt eine Neubewertung von Aufgaben und Rollen, von Arbeitsweisen und Kulturen. Wenn Branchengrenzen verschwimmen, beschleunigt sich auch das Konvergieren der Grenzen zwischen Kreativen und traditionellen (Mit-)Arbeitenden. Kreative werden zunehmend in Geschäftsprozesse eingebunden – traditionelle (Mit-)Arbeitende werden zunehmend kreativ und digital. Solche Entwicklungen müssen mit entsprechenden E-Collaboration-Tools unterstützt werden. Bei diesen elektronischen, digitalen Tools handelt es sich um eine internetbasierte Echtzeitunterstützung der Zusammenarbeit, mit dem Ziel der Optimierung von Real Value Networks. Neben der Kommunikation und Unterstützung des Dokumentenmanagements können auch E-Services oder Förderprogramme darüber abgewickelt werden. Ebenso lassen sich E-Government-Elemente ergänzen oder integrieren, von Tools wie Wikis, Blogs oder sozialen Netzwerken ganz zu schweigen. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur Eröffnung internationaler Dimensionen für ein Real Value Network – zum Beispiel über die Einbindung von Projekten wie GAIA-X, einer vernetzten Datenstruktur für ein europäisches kreatives Ökosystem. Das sind glänzende Perspektiven. Im Kern geht es immer wieder um die Erlangung der Datenhoheit über die Kreativwirtschaft mit all ihren Playern, Initiativen und Wertschöpfungsketten. Nur so lässt sich eine entsprechende Infrastruktur aufbauen – nur so kann man den notwendigen Support bereitstellen.
Handlungsempfehlungen:
Themenfeld Vernetzung V1-V11
Bonusmaterial Masterplan:
Kontext, Daten, Fakten